You’re viewing a version of this story optimized for slow connections. To see the full story click here.

Jede Narbe ein gewonnener Kampf

Johannes Gollwitzer aus Weiden macht mit Fotos auf Mukoviszidose aufmerksam

Story by Onetz March 3rd, 2017

Was man Johannes Gollwitzer sofort ansieht, ist seine Flippigkeit: Er hat viele Tattoos und einen auffällig großen Stecker im rechten Ohr. Was man ihm erst auf den zweiten Blick ansieht, ist seine schwere Krankheit. Der 32-jährige Weidener hat Mukoviszidose, eine seltene und unheilbare Stoffwechselerkrankung. Sie beeinflusst sein Leben seit seiner Geburt, vereinnahmt es phasenweise regelrecht. Und sie verringert seine Lebenserwartung um Jahrzehnte.

Text: Sonja Kaute; Fotos: Studio Fotozon Weiden / fotozon.de

„Es ist einerseits gut, dass man mir die Krankheit nicht direkt ansieht. Aber es ist auch schwierig. Ich bin zu 100 Prozent schwerbehindert. Ich sehe aber nicht so aus, wie die Leute sich einen Schwerbehinderten vorstellen. Damit können viele nicht umgehen.“ Johannes möchte, dass die Menschen auf Mukoviszidose aufmerksam werden. „Viele Menschen, die diese Krankheit haben, möchten eine Spur hinterlassen. Sie betreiben Blogs, schreiben Bücher oder machen Videos. Mein Ding sind Fotos.“ Johannes zeigt seinen mit Tattoos verschönerten, aber auch von der Mukoviszidose geschundenen Körper.

„Du musst die Leute schocken, damit sie anfangen zu überlegen. Bei meinen Bildern gucken die Leute zweimal hin.“ Aufgenommen hat die Bilder René Oertel vom Weidener Studio Fotozon. Er postete sie bei Facebook. Die Resonanz war enorm. Zahlreiche Menschen fragten nach, was die Krankheit für das Leben von Johannes bedeutet.


_DSC6638.NEF.jpg
_DSC6546.NEF.jpg
_DSC6589b.jpg

Was ist Mukoviszidose?

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Mukoviszidose, auch Zystische Fibrose genannt, ist eine seltene Stoffwechselerkrankung. In Deutschland gibt es rund 8.000 Betroffene. Die Krankheit wird vererbt, besteht von Geburt an. Allerdings erkranken nicht alle Kinder von Eltern mit dem entsprechenden Gendefekt. Johannes Eltern haben zum Beispiel beide den Gendefekt (der erst durch Johannes Erkrankung entdeckt wurde), dennoch ist seine Schwester gesund.

Mukoviszidose könnte man beschreiben als Verschleimung des Körpers von innen (mucus = Schleim, viscidus = zäh). Das Sekret der schleimbildenden Organe – Lunge, Bauchspeicheldrüse, Leber, Geschlechtsorgane und Darm – ist extrem zähflüssig, verstopft die Organe und ist ein idealer Nährboden für Keime. Es gibt annähernd 2.000 Mutationen der Krankheit. Daher sind die Symptome und deren Ausprägungen individuell unterschiedlich. Dazu zählen Husten, Lungenentzündungen, Untergewicht und Verdauungsprobleme.

Mukoviszidose ist nicht heilbar. Die Lebenserwartung liegt derzeit bei ungefähr 40 Jahren. Der medizinische Fortschritt dürfte sie in Zukunft weiter erhöhen.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------


Mukoviszidose wirkt sich auf sämtliche Lebensbereiche aus. Selbst das Atmen und das Essen bereiten Probleme. „Ich bin mit 73 Kilo Körpergewicht ein vergleichsweise dicker ‚Muko‘. Wir sind alle eher untergewichtig. Früher habe ich nur 55 Kilo gewogen. Ich muss heute täglich rund 4.000 Kalorien zu mir nehmen. Ich gehe zu Burger King, schaue, was die meisten Kalorien hat und esse es - egal, ob es mir schmeckt oder nicht.“


DIE ERKRANKUNG BESTIMMT JOHANNES TAGESABLAUF:

„Ich stehe zwischen halb sieben und sieben Uhr auf, trinke Tee, nehme mein Abführmittel und checke E-Mails. Dann beginne ich mit der Kochsalz-Inhalation für meine Lunge und nehme meine Antibiotika. Das dauert ungefähr eine Stunde. Anschließend inhaliere ich 40 bis 50 Minuten lang für die Nase, weil die Nebenhöhlen eine große Keimquelle sind. Dann muss ich meine Medikamente nehmen.“ Wie viele das sind? Johannes Gollwitzer zählt eine ganze Weile. „16… 17… 18… schreib einfach ‚eine handvoll Tabletten‘.“ Darunter befinden sich Verdauungsenzyme, Magensäurehemmer, hochdosierte Vitamine und Antidepressiva. Das ist auch ein Kostenfaktor: „Eines der Medikamente kostet so viel wie ein I-Phone – jeden Tag. Ich versuche, nur das zu nehmen, was mein Körper fordert. Ich bin mein eigener Arzt. Mein Arzt berät mich, hilft mir, aber ich muss die Nebenwirkungen aushalten, nicht er.“

_DSC6651.NEF.jpg
_DSC6658.NEF.jpg
_DSC6640.NEF.jpg
_DSC6663.NEF.jpg

stark durch husten

Nach der Medikamenteneinnahme kocht Johannes Teile seiner Inhalationsgeräte aus und duscht. Nach drei bis vier Stunden ist die morgendliche Therapie beendet. „Dann startet mein Leben. Alles davor sind gezwungene Sachen. An manchen Tagen bin ich allerdings durch das Husten während der Therapie so durchgeschwitzt, dass ich noch einmal duschen und mich hinlegen muss.“ Abends kostet ihn die Therapie täglich weitere zwei Stunden. „Zwei Mal pro Woche gehe ich zur Physiotherapie. Ich versuche, jeden Tag mit dem Familienhund rauszugehen und Sport zu treiben.“ Johannes hatte nie eine normale Jugend, konnte keinen Job ergreifen. "Meine Therapie ist meine Arbeit. Als Erwachsener weiß ich, wenn ich sie durchziehe, habe ich nebenbei auch noch ein Leben.“

Wenn Johannes reist, ist die Krankheit immer dabei. "Dann habe ich einen Trolley mit rund zehn Kilo Medikamenten und medizinischer Ausrüstung dabei. Im Trolley ist dann aber nur das Nötigste drin.“ Fühlt er sich von den Geräten abhängig, gefesselt? Ja, sie seien natürlich eine Einschränkung. Aber:


„Die Geräte sind Leben. Sie engen uns im Endeffekt nicht ein, sondern schenken uns Leben.“

Sein Leben hat sich der junge Mann hart erkämpft. "Die Leute fragen mich: ‚Du hast so einen durchtrainierten Körper, wie machst du das?‘ Die Antwort ist einfach: ‚Ich huste.‘" Weil der zähflüssige Schleim in der Lunge deren Funktion einschränkt, ist Husten Johannes ständiger Begleiter. Er versteift die Muskeln, trainiert sie aber auch. „Ich habe nur 55 bis 60 Prozent Lungenfunktion. Frische Luft und Bewegung sind daher wahnsinnig wichtig, um Infekte besser wegstecken zu können. Aber nachts brauche ich mein Sauerstoffgerät.“

_DSC6615.NEF.jpg
_DSC6606.NEF.jpg

Für viele Mukoviszidose-Patienten ist die letzte Hoffnung eine Lungentransplantation. Momentan ist das für den Weidener keine Option. „Wenn‘s dir aber wirklich dreckig geht und du die Wahl hast, zu ersticken oder eine neue Lunge zu bekommen, dann entscheidest du dich eventuell um.“ Die Risiken sind groß: „Vom OP-Tisch kommen die meisten lebend herunter, aber viele sterben auf der Warteliste. Und dann ist da natürlich noch die Abstoßungsproblematik. Es ist nur ein geborgtes Leben. Eine neue Lunge funktioniert nur einige Jahre, und es kann dauernd etwas passieren.“


"Ich wäre fast verstorben, war mehr tot als lebendig."

Die Lunge ist nicht das einzige Organ, das Probleme bereitet. „Ich habe seit 2009 einen Darmverschluss, der nicht mehr mit normalen Mitteln gelöst werden konnte.“ Johannes landete auf der Intensivstation, wurde notoperiert. Am Ende war die einzige Lösung ein künstlicher Darmausgang. „Ich wäre fast verstorben, war mehr tot als lebendig. Ich habe Fotos, auf denen kann man durch den offenen Bauch bis zu den Muskeln sehen. Der Arzt sagte mir, es sei auf 30 Minuten angekommen.“ Der künstliche Darmausgang rettete ihm das Leben, auch wenn er viele Probleme nicht beendete.

Die Folgen zeigen sich auch äußerlich: Auf Johannes Bauch sind der Beutel am künstlichen Darmausgang sowie eine große Narbe zu sehen. „Jede Narbe ist ein gewonnener Kampf. Ich habe keine Probleme damit, das zu zeigen.“

_DSC6579b.jpg

Ein Teddy auf seiner linken Pobacke erinnert den 32-Jährigen an einen seiner vielen Kämpfe und unzähligen Krankenhausaufenthalte. Und zeigt seinen Galgenhumor. „Das war damals bei meiner Bauch-OP. Ich bin auf dem Flur gelaufen und dabei ist meine Hose verrutscht. Eine Krankenschwester sagte: ‚Herr Gollwitzer, man sieht ihre Pobacke.‘ Ich habe geantwortet, dass ich im Moment andere Probleme habe und versuche, gerade zu gehen und nicht umzufallen. Nach der Entlassung habe ich mir den Teddy tätowieren lassen. Wenn so etwas noch einmal passiert, haben die Leute jetzt wenigstens etwas zu gucken.“

_DSC6628b.jpg
_DSC6634.NEF.jpg

Die Krankheit hat Johannes auch psychisch manchmal im Griff: „Der schlimmste Schmerz ist der seelische Schmerz. Ich habe depressive Phasen, Angst und eine Hypomanie: Ich schwanke zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Und es gibt auch Zeitpunkte, wo ich mich frage: Wozu nehme ich die Medikamente, die den Körper kaputt machen? Ich habe kein Haus, keine Frau, keine Kinder, keinen Job.“ Johannes macht keinen Hehl daraus, dass er auch einsam ist:


„Ich möchte diese Krankheit keiner Frau antun. Ich weiß, wie oft ich nachts Schmerzen habe und weine, wie oft ich ins Krankenhaus muss, dass ich keine Kinder zeugen kann, depressive Phasen habe. Was ich als Mann einer Frau bieten möchte, ist für mich alles unerreichbar.“

Auch Zukunftspläne sind schwierig, wegen der geringen Lebenserwartung. „Ich habe für mich 40 Jahre angepeilt“, sagt der 32-Jährige.

Dabei ist es ein großer Fortschritt, dass Mukoviszidose-Patienten überhaupt 40 Jahre alt werden können. „In meinem Alter sterben wahnsinnig viele weg. Erst gestern kam eine Todesnachricht, auch letzte Woche. Es vergeht kein Monat, wo man nichts hört.“ Einer von mehreren Gründen, warum Johannes sich zurückgezogen hat aus Facebook und dem dortigen Kontakt zu anderen Menschen mit der Krankheit. „Das ist ein Fluch und Segen. Für mich momentan mehr Fluch.“

_DSC6621.NEF.jpg

im wettlauf mit dem leben

Dass Mukoviszidose-Patienten überhaupt erwachsen werden, ist ein Fortschritt: „Die Medizin stellt sich erst seit rund zehn Jahren auf Erwachsene um. Das ist immer eine Kinderkrankheit gewesen, weil keiner so alt geworden ist, dass man sich Gedanken über Erwachsene hätte machen müssen.“ Johannes geht offen damit um: „Ich habe alles geregelt, auch meine Beerdigung. Mein Körper geht als Spende an die Universität Regensburg. Das ist die letzte gute Tat, die ich machen kann: Einem Arzt die Chance geben, den kaputten Körper anzuschauen.“ Und dann ist da wieder der Galgenhumor: „Vorher lasse ich mir aber noch ein Tattoo stechen: ‚Nur durch geschultes Personal zu öffnen.‘“

Angst vor dem Tod? „Habe ich nicht. Aber ich habe Angst davor, wie meine Angehörigen damit umgehen.“ Johannes versucht, der Krankheit auch Positives abzugewinnen. „Schlechte Erfahrungen sind die besten Lehrer. Ich weiß um die Begrenztheit meines Lebens. Ich habe gelernt zu sagen, was ich denke und es laut zu sagen. Man ist aber selber auch ein bisschen betriebsblind. Viele sagen, ich sei wahnsinnig stark. Man sieht das selber aber nicht. Das ist eben mein Leben.“ Man werde auch demütig: „Das klingt jetzt verrückt, aber es könnte wirklich noch beschissener kommen.“

_DSC656b.jpg
_DSC6586.NEF.jpg
_DSC6583.NEF.jpg
"Ich lebe schneller, packe mehr in kürzere Zeit."

Johannes findet Trost im buddhistischen Glauben. Sein Herzenstraum: Er möchte nach Thailand und dort eine Weile als Novize in einem Kloster leben. „Ich bin spirituell geworden durch die Krankheit.“ Johannes Gollwitzer sucht sich gezielt positive Ankerpunkte. „Ich stehe im Wettlauf mit dem Leben. Lebe schneller, packe mehr in kürzere Zeit. Mir bleibt gar nichts anderes übrig. Es ist ja absehbar, dass es schlechter wird.“ Er sucht sich Projekte, die Sinn stiften. Er liebt Hans Söllner. Und seine Tätowierungen. Möchte dieses Jahr Klettern lernen. Schreibt manchmal Gedichte. Geht wandern. Hat eine Website aufgesetzt. Und bereitet sich auf ein Buchprojekt vor.

Der größte Anker in seinem Leben sind jedoch seine Familie und Freunde. „Familie geht bei mir über alles. Sie hat immer hinter mir gestanden. Ohne sie wäre ich nicht mehr.“ Das gilt auch für seine beste Freundin. „Sie sagt mir immer wieder ‚Du bist gut, so wie du bist‘. Sie hat mich schon wahnsinnig oft gerettet. Zum Beispiel vor Geburtstagen, wenn man Resümee zieht und vergleicht, was alles unerfüllt ist.“

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

impressum

Oberpfalz Medien - Der neue Tag

Druck- und Verlagshaus GmbH

Weigelstraße 16

92637 Weiden

E-Mail: [email protected]

Zum vollständigen Impressum

Zurück zu www.onetz.de


Footnote: Text: Sonja Kaute; Fotos: Studio Fotozon Weiden / fotozon.de; Website Johnannes Gollwitzer: https://gollwitzer.bayern/
Weiden in der Oberpfalz, Deutschland